Alle Häuser wie abrasiert und hohl - Erinnerung an die Zerstörung Würzburgs am 16.3.1945

Elisabeth und Hans Gernert in Würzburg vor dem 2. Weltkrieg
Bildrechte Hans Gernert

Wenn ich die Briefe meiner Oma lese, die leider vor meiner Geburt bereits verstarb, dann sieht man, wie sich Kriegsereignisse ähneln: Töten, Bombardierung, Zerstörung, Flucht, Elend, Hunger, Kälte, Traumatisierung, Not und Leid. In zwei Briefen erzählt meine Oma, die aus Würzburg stammte, wie sie im September 1945 erstmals ihre zerbombte Heimatstadt erlebte. Ihr Mann, Diakon Hans Gernert, war am 12.12.1944 im Elsass gefallen.

Am 22.5.1946 schrieb meine Oma Elisabeth Gernert (*20.4.1907 in Würzburg, +9.3.1962 in Erlangen) aus Hof/Saale an ihre Schwester Paula nach Graz:

Im September fuhr ich mit den Kindern nach Würzburg und Frickenhausen, nachdem ich Flüchtlinge, die ich hier versorgt hatte auf einem Transport ins Rheinland, beauftragt hatte, mir Nachricht zu geben von Würzburg. Zu 95% ist unsere schöne Stadt ausgebrannt. Du wirsts nicht mehr wieder erkennen. Alle Häuser wie abrasiert und hohl, einfach eine Katastrophe. Wie wenige Städte, weil dazwischen kein bewohnbares Haus wie anderwärts. Mit zitterten die Beine als ich zum Bahnhof kam. Die Kinder, wenn nicht dabei gewesen, wäre ich zusammengebrochen. Zwar wußte ich Bescheid, doch hatte ich keine Vorstellung. Ich hatte mich lange darauf gefreut, wenn der Krieg zu Ende, mit den Kindern heim zu fahren und ihnen alles zu zeigen. Das hat sich erübrigt. Die 2 Mädle, auch die andern, waren erschüttert. Sie sprachen auf dem Weg durch die Stadt nichts. Mariele sagte in der Kaiserstraße nur: „Gelt Mutti, da waren lauter schöne Läden!“ Ich will nicht mehr hin…

Hans mit seiner Schwägerin Paula letztmals zuhause im Februar 1944 in Würzburg, Ringpark
Bildrechte Hans Gernert

Hans (*22.10.1907 Frickenhausen am Main, +12.12.1944 in Langensulzbach bei Colmar im Elsass) kommt mit ziemlicher Sicherheit nimmer heim, sonst hätte ich längst irgendein Lebenszeichen von ihm. Denn jeder Gefangene kann einmal schreiben. Außerdem haben mir die Kameraden schon vorigen August sagen lassen, ich brauche nicht mehr auf ihn warten. Er ist beim Panzerdurchbruch in Langensulzbach mit einem Bauchschuß gefunden und von dem dortigen Ortsvorsteher begraben, bei dem eine Liste aller Gefallenen mit Namen und Erkennungsnummern vorgefunden wurde. Ich suche noch einen Augenzeugen, der direkt bei ihm war und gefangen wurde.

Grabstein für Hans Gernert, Soldatenfriedhof Niederbronn im Elsass

Am 23. Juni 1946 schrieb Elisabeth Gernert an ihre Schwester in Graz:

Liebe Paula!
14 Tage war ich zur Aushilfe auf Burg Wernfels bei Spalt weg und als ich heimkam, erhielt ich gleich deinen Brief vom 11.6. außerdem 2 Briefe, 1 vom Kriegsgräberdienst, die mir nun endlich das Auffinden des Grabes mitteilten, den andern von den Quartierleuten aus dem Elsaß, die auch das Grab suchten und den Förster, der Hans im Walde fand, ihn abholen und beerdigen ließ, seine Sachen ihm abnahm, die bei der Flucht der Einwohner aber mit geplündert waren, sodaß nur noch seine Taschenbibel sich vorfand. Die Quartierleute schreiben immer rührend, sie haben das Grab photographiert und mich eingeladen, wenn die Grenzen wieder offen sind, zu kommen. So ists und bleibts traurige Gewißheit. Wenn Hans wenigstens kurz zuvor noch einmal daheim gewesen wäre, im Februar 19944 war er das letzte mal da. Die Kameraden, die jetzt aus der Gefangenschaft heimkommen, schreiben alle in der Annahme, Hans sei längst zuhause. Ihren Berichten zufolge, die sie nur auf meine Bitte hin schicken, war der ganze Kampf schon ein großes Verbrechen, die nackten Leiber gegen die Waffen. Es ist nie mehr gutzumachen und die Wunden werden solange wir leben bleiben. Was für ein namenloses Elend spielte sich seit Kriegsende bis jetzt und noch immer ab. Die ganze Welt befindet sich auf der Flucht. Ich habe im vergangenen Sommer unzählige Massen auf den Straßen pilgern sehen, im Haus selbst viel von diesem Elend mit anhören müssen und das ist nur ein kleiner Teil von allem. In Würzburg ist bis auf die Ränder in Frauenland und am Main hin alles zerstört. Im Grombühl sind nur in der Reiserstraße und an der Überführung beim Quellenbach einzelne bewohnbare Häuser. Es ist alles ausgebrannt bis auf den Grund. Die Häuser stehen bis zum 2. Stock, da obere fehlt. Die ganzen Straßen senk- wie waagrecht sind oben kahl. Grundmauern mit den Fensterhöhlen, dazwischen steht kein brauchbares Haus. Im Luitpoldkrankenhaus waren Bau 14 138 ebenfalls eben abrasiert. Der Angriff wurde nach Aussagen eines Würzburger Landsers, der ihn miterlebte und den ich in Hof im Felsenkeller davon sprechen hörte, vom Frauenland beginnend schräg über die Stadt vorgetragen bis zur Zellerau. Da hatten sie wohl keine Bomben mehr. Eine Strickerin, die jetzt Marie hilft, hat in der Nacht in der Anlage buchstäblich auf den vielen Stabbrandbomben genächtigt, die rumlagen. ½ Sunde dauerte der Angriff. Vom Bahnhof steht nur so ein Fetzen in die Luft. Die Leute saßen mit ihrem Gepäck im Oktober auf den Schutthaufen. Kaiserstraße, Juliuspromenade, Schönborn-, Domstraße usw. kein Haus, das nicht bis auf den Grund ausgebrannt ist. Die Zwischenstr., die Reisgruben-, Domerschulgasse sind zugeschüttet und unpassierbar. Wo die Leute ihr Essen kauften, blieb mir schleierhaft. Im Oktober damals kamen einem die Personen in der Stadt wie Gespenster vor, die plötzlich da standen, so tot und leer. In Meßbuden stand auf dem Markt Gemüse fast ohne Käufer die ganzen Gassen zum Markt zugeschüttet. Sämtliche Kirchen schwer beschädigt. Von der Johanniskirche steht nur der Turm ohne Spitze. Der Kaisersaal in der Residenz ist ausgebrannt. Hofgarten für Deutsche gesperrt. Die Militärregierung sitzt im Stadthaus. Ich mußte dort Reisegenehmigung holen, sonst wäre ich wohl nicht so weit rein gekommen. In Nürnberg sind nur Stadtteile so betroffen, aber es ist doch mehr Leben da. Jetzt wird wohl auch in Würzburg sich vieles geändert haben. Es war damals viel auf einmal: das Kriegsende, Heimat, Mann und Vater verloren, ich stand in Würzburg am Bahnhof, als habe ich den Verstand verloren. Mich packt jetzt oft noch ein Nervenfieber, wenn ich immer wieder davon schreiben muß.

Ferienkinder mit Jungdiakon Hans Gernert in Rehweiler, 1929
Bildrechte Hans Gernert

Mein Opa Johann Gernert, der wie ich als Hans angesprochen wurde, war während seiner Ausbildung zum Rummelsberger Diakon im September 1929 mit Kindern zu einem Ferienlager im Landheim in Rehweiler untergebracht.

Beschriftung des Fotos aus Rehweiler, 1929