Macht die Konfirmandenfrage zu eurem Luthermoment

Liebe Festgemeinde, liebe Konfirmand_innen,

an zwei Jubiläen will ich erinnern. Ihr habt sie ein wenig mitbekommen.

Am 18. April vor 500 Jahren jährte sich der Auftritt von Martin Luther vor dem Reichstag in Worms. Worte der Heiligen Schrift und sein Gewissen erlaubten es ihm nicht, seine Erkenntnisse und seine Schriften zu widerrufen, zumal seine Gegner keine vernünftigen Gegenargumente vorlegten. Ich habe euch damals während des Lockdowns per Mail gefragt, wofür es sich heute einzutreten lohnt. Antworten von euch und anderen Gemeindegliedern lauteten:

Ich trete ein für Benachteiligte,

für Gerechtigkeit,

für Freunde und meine Familie,

für Gleichberechtigung,

für Frieden,

gegen jeden Antisemitismus und Rassismus (Klopapier!),

Gott liebt alle Menschen ohne Bedingung.

Ob ihr mit derselben Gewissheit wie „Martin“ heute sagen könnt:
„Ich stehe hier und kann nicht anders!? Ich bekenne mich zu Jesus Christus, der wie kein anderer klar und eindeutig Gottes bedingungslose Liebe verkörpert.“

Seht die Konfirmandenfrage als einen Akt der  Ermutigung an. Ihr seid getauft, ihr seid Christen, die Christus nachfolgen wollen. Darum dürft ihr mit Freude antworten und sagen: Ja, wir wollen unter Jesus Christus als unserem Herrn leben, im Glauben an ihn wachsen und in seiner Gemeinde bleiben. Macht diesen Moment zu eurem Luthermoment.

Das zweite Jubiläum, das in euer Konfirmationsjahr fällt, ist der Geburtstag von Sophie Scholl am 9. Mai vor 100 Jahren. Mit 21 Jahren wurde sie von den Nazis hingerichtet. Wir haben in einen Film über sie hineingeschaut. Der Vater von Sophie war bis zum Umzug nach Ulm 1932 Bürgermeister und Freigeist. Er kritisierte in einem Brief an seine Frau 1917, dass auf den Koppelschlössern der preußischen Soldaten „Gott mit uns“ stand und schrieb:

„Was hat denn der Christengott, das Christentum mit dem deutschen Sieg zu tun. Sind nicht in allen Ländern wahre Christen?“

Die Mutter von Sophie war eine fromme Diakonissen-Krankenschwester und pflegte im 1. Weltkrieg Verwundete.

Ihr Lebensmotto war: „Es geht, wie Gott will.“

Vater und Mutter lehnten Hitler und die Nazis ab, während die Kinder begeistert in der Hitlerjugend mitmachten. Der Bruder Hans wurde Scharführer beim Jungvolk und Sophie wurde Jungmädelführerin beim BDM (Bund Deutscher Mädel). Aufrichtigkeit und Gemeinschaft waren Sophie wichtig. Mit ihrem frechen Kurzhaarschnitt bewegte sie sich wie "ein feuriger, wilder Junge".

Sophie hat sich sogar in der Nazi-Uniform konfirmieren lassen. Der Pfarrer, der sie damals konfirmierte, war einige Zeit HJ-Pfarrer. Sie ging zum Altar und sagte: Ja, ich verspreche Gott treu zu sein. In derselben BDM-Uniform hatte sie vorher geschworen: Ja, meinem Führer Adolf Hitler will ich folgen. Das war etwas, was sich für sie nicht widersprach, sondern offensichtlich zusammengehörte.

Mit 16 verliebte sich Sophie in den 20jährigen Leutnant Fritz Hartnagel. Es war die einzige Männerbeziehung im kurzen Leben von Sophie und blieb eine komplizierte Liebe. Sophie weihte den Berufssoldat Fritz nicht in die Aktionen der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ ein. Fritz heiratete nach dem Krieg Sophies Schwester Elisabeth. Sophie begann im Mai 1942 in München Biologie und Philosophie zu studieren. Dort war sie vom Freundkreis ihres Bruders Hans angetan und schloss sich schnell dem Widerstand der Weißen Rose an. Durch Flugblätter und nächtliches Beschreiben von Wänden versuchten sie, ohne Gewaltanwendung zum Widerstand gegen Hitler, gegen den Krieg und gegen die Verbrechen an den Juden aufzurufen. Sophie organisierte Geld und Vervielfältigungsgeräte, besorgte Briefmarken und half beim Versenden. Am 25. Januar 1943 verteilte sie in Augsburg 2.000 Flugblätter, auf denen stand: „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit! Entscheidet Euch, eh' es zu spät ist.“

Am 18. Februar 1943 wurden Sophie und Hans Scholl im Lichthof der Münchner Universität verhaftet. Der Hausmeister hatte Alarm geschlagen, als Flugblätter von der Galerie regneten. Da war zu lesen: „Auf uns sieht das deutsche Volk. Von uns erwartet es die Brechung des nationalsozialistischen Terrors.“

Die fliegenden Flugblätter haben sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt. Sie drücken aus: Widerstand ist möglich. Keine Politik, keine Ideologie ist alternativlos.

Keine vier Tage später verurteilte der aus Berlin herbeigeeilte NS-Richter Roland Freisler die Geschwister Scholl wegen „Hochverrats“. Sophie bereute nichts. Kurz vor ihrer Enthauptung sagte sie: „So ein herrlicher sonniger Tag, und ich muss gehen. Was liegt an meinem Tod, wenn durch unser Handeln Tausende von Menschen aufgerüttelt und geweckt werden.“

Die Eltern konnten Sophie noch für 10 Minuten sehen und sich verabschieden. Der Vater umarmte Hans und Sophie im Besuchsraum über die Brüstung hinweg und sagte: „Ihr werdet in die Geschichte eingehen.“ Sophie antwortete: „Das wird Wellen schlagen.“ Die Mutter hat Sophie noch an Jesus erinnert: „Aber gelt, Jesus.“ Und Sophie habe geantwortet: „Ja, aber du auch.“ Hans Scholl und Christoph Probst wurden kurz nach Sophie hingerichtet.

Dass Sophie Scholl so viel Verehrung zuteilwurde, liegt auch daran, dass sie entgegen der damaligen Frauenrolle gehandelt hat. Sie ist aufgrund ihrer letzten Taten, nicht wegen ihres kurzen Lebens, eine außergewöhnliche, bewundernswerte Frau. An Sophie kann man sehen, dass der Glaube Kraft gibt für einen eigenen Weg, und wenn es sein muss auch zum Widerstand. Man spürt, wie Sophie und die anderen Mitglieder der Weißen Rose ihrem Gewissen gefolgt sind und Gott mehr gehorcht haben als den Menschen, den Nazis.

Ich stehe hier und kann nicht anders.

Am Ende der Bergpredigt sagt Jesus: „Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute.

Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.“

Zwei Erfahrungen sind für uns ganz frisch:

Ihr habt bewusst miterlebt, was ein unsichtbares Virus anrichten kann. Eure Konfi-Zeit war davon geprägt. Eine Konfi-Freizeit und vieles andere war nicht möglich. Nicht zuletzt haben wir den Konfirmationstermin wir weit in den Sommer gelegt.

Corona ist die eine Erfahrung.

Das andere ist die Klimakatastrophe, die schon begonnen hat. Schrecklich die Starkregenereignisse, die zu so viel Leid und Zerstörung im Rheinland, in Belgien und Frankreich führten.

Offensichtlich gab es solche verheerenden Katastrophen auch schon zur Zeit Jesu, dass ganze Häuser vom Platzregen weggerissen wurden. Jesus verwendet dies im übertragenen Sinn als Bild. Wer sich an seinen Worten orientiert, der baut sein Leben auf einem guten Fundament, das den Bedrohungen und Gefahren des Lebens standhält.

Martin hat das erlebt vor 500 Jahren.

Hans und Sophie Scholl haben das erlebt.

Ich denke, es ist der Wunsch von vielen hier und heute, dass auch ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden das erlebt.

Jesus gibt Halt und fördert eine mitmenschliche Haltung.

Macht euch bewusst: Sophie hat nach ihrer Konfirmation in Nazi-Uniform noch eine wichtige Entwicklung durchgemacht. Sie ist im Glauben an Jesus Christus gewachsen. Und ihr letzter Wunsch war es, als der Münchner Pfarrer Karl Alt zu ihr in die Zelle kam, dass er das Abendmahl mit ihr feiert. Sie blieb in der Gemeinde Jesu.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

(Predigt zur Konfirmation in Rehweiler am 1.8.2021 von Hans Gernert)