Wege zum Frieden - Predigt am 29.10.2023

Die Texte für diesen Sonntag empfinde ich als hochaktuell. Im Evangelium haben wir von der Zumutung Jesu gehört, auch die Feinde zu lieben. Können wir das? Jemanden lieben, von dem wir nichts Gutes erwarten? Immerhin, Jesus selbst hat für seine Feinde gebetet: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Lieben ist hier sicher nicht im Sinne von positiven Gefühlen gemeint.
Feinde lieben – das verstehe ich als einen Warnhinweis: Lass dich nicht verblenden und aufwiegeln durch Hass und Hetze. Wehre dich gegen die Verteufelung anderer Menschen. Bemühe dich um Verstehen und um gerechte, friedliche Lösungen, mit denen alle leben können.
Wie schwer das ist, sehen wir im aktuellen Terror, der von der Hamas ausgeht, die das eigene Volk in Geiselhaft nimmt, sich wenig um das Leben der eigenen Leute schert und weiter mit Raketen auf Israel schießt. Ihr Ziel ist es, den Staat Israel zu vernichten.

In einer Gesprächsrunde bei Sandra Maischberger erinnerte Marieluise Beck daran, dass es zur Geschichte des Judentums gehört, dass die Existenz der Juden immer gefährdet ist und bedroht wird.
Es ist schon merkwürdig, dass das bereits in den Geschichten reflektiert wird, die vom Anfang des Judentums, vom Anfang der Geschichte Israels erzählt werden.
Abraham, der Stammvater des Volkes Israel, erhält in 1. Mose 12 drei Verheißungen: Land, Nachkommenschaft und Segen für die Völker. Alle drei Verheißungen sind aber immer wieder gefährdet, von Anfang an. Abraham verlässt seine Heimat und kommt nach Kanaan. Dort leben aber bereits die Kanaaniter. Aufgrund einer Hungersnot zieht Abraham nach Ägypten und gibt seine Frau als Schwester aus in Sorge um sein Leben und das seiner Frau. Erst durch Gottes Eingreifen kommt es zur Wende. Gott lässt nicht zu, dass die Mutter der Verheißung im Harem des ägyptischen Königs verschwindet. Auch der gottgleiche Pharao untersteht der Macht Gottes. Da leuchtet schon das Ziel der Wege Gottes auf, dass einst alle Völker in Frieden miteinander leben und sich gemeinsam dem einen, wahren Gott zuwenden.
Im Folgekapitel 1. Mose 13 wird erneut die Verheißung von Land und Nachkommen gefährdet. Lot, der Neffe von Abraham, scheidet als potentieller Erbe aus und die Frage nach dem verheißenen Land steht akut im Raum.

Ich lese 1. Mose 13:
So zog Abram herauf aus Ägypten mit seiner Frau und mit allem, was er hatte, und Lot mit ihm ins Südland. 2Abram aber war sehr reich an Vieh, Silber und Gold. 3Und er zog immer weiter vom Südland bis nach Bethel, an die Stätte, wo zuerst sein Zelt war, zwischen Bethel und Ai, 4eben an den Ort, wo er früher den Altar errichtet hatte. Dort rief er den Namen des Herrn an. 5Lot aber, der mit Abram zog, hatte auch Schafe und Rinder und Zelte. 6Und das Land konnte es nicht ertragen, dass sie beieinander wohnten; denn ihre Habe war groß und sie konnten nicht beieinander wohnen. 7Und es war immer Zank zwischen den Hirten von Abrams Vieh und den Hirten von Lots Vieh. Es wohnten auch zu der Zeit die Kanaaniter und Perisiter im Lande. 8Da sprach Abram zu Lot: Es soll kein Zank sein zwischen mir und dir und zwischen meinen und deinen Hirten; denn wir sind Brüder. 9Steht dir nicht alles Land offen? Trenne dich doch von mir! Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken. 10Da hob Lot seine Augen auf und sah die ganze Gegend am Jordan, dass sie wasserreich war. Denn bevor der Herr Sodom und Gomorra vernichtete, war sie bis nach Zoar hin wie der Garten des Herrn, gleichwie Ägyptenland. 11Da erwählte sich Lot die ganze Gegend am Jordan und zog nach Osten. Also trennte sich ein Bruder von dem andern, 12sodass Abram wohnte im Lande Kanaan und Lot in den Städten jener Gegend. Und Lot zog mit seinen Zelten bis nach Sodom.

Liebe Gemeinde! Die Bibel zeichnet keine Helden. Selbst der Stammvater Israels, Abraham, wird mit seinen Stärken und seinen Schwächen geschildert. Mit den Juden glauben wir ja nicht an menschliche Helden, sondern an Gott. Abraham schwankt immer wieder zwischen Vertrauen und Zweifel. Er glaubt den Verheißungen Gottes. Doch dann gibt es wieder Situationen, in denen er meint, Gott nachhelfen zu müssen. In unserem Abschnitt für heute wird Abraham durchwegs positiv gezeichnet. Es ist eine geradezu beispielhafte Geschichte, wie Konflikte konstruktiv und friedlich gelöst werden können. Das gilt für Konflikte im Großen wie im Kleinen, beim Streit ums Heilige Land wie auch beim Geschwisterstreit ums Erbe.

Streit ums Heilige Land. Schon damals. Da ist die eine Gruppe, nennen wir sie die Abraham-Fraktion. Diese Fraktion sagt: Endlich sind wir angekommen im Land, das uns verheißen ist. Das ist jetzt unser Land. Unsere Herden sollen hier weiden, unsere Familien sollen sich niederlassen, wir wollen Häuser bauen, unsere Kinder sollen Berufe erlernen und sich ein Leben aufbauen in Wohlstand und Zufriedenheit. Lange genug hat es gedauert, bis wir endlich hierher gelangt sind, nun soll es uns gut gehen, keiner soll unseren Wohlstand stören, keiner daherkommen und Anspruch erheben auf das, was uns gehört. Dann ist da auch noch die andere Gruppe, die Lot-Fraktion. Die Leute der Lot-Fraktion sagen: Wir sind schließlich auch noch da. Ihr könnt nicht so tun, als wärt ihr hier alleine. Das Land muss auch uns ernähren, ihr könnt nicht nur an euch selber denken. Und außerdem: Was soll diese merkwürdige Begründung, euch wäre das Land verheißen? Da kann ja jeder kommen. Was ist mit denen, die schon vor euch da waren, die Kanaaniter und die Perisiter? Wollt ihr die etwa einfach aus dem Land werfen? Warum behauptet ihr, Anspruch auf das Land zu haben und sprecht das anderen ab? Seid ihr etwa etwas Besseres? Und so stritten sie darüber, wer zu Recht Anspruch auf das Land erhebe und wer zu Unrecht. Manchmal flogen auch Steine, es kam sogar zu Messerattacken, die Stimmung war, gelinde gesagt, äußerst gereizt.
Gemeinsam war beiden Fraktionen die Überzeugung: Es reicht nicht für uns alle.
Nun ergreift der Stärkere, Abraham, die Initiative, um den Konflikt friedlich zu lösen. Er geht zu seinem Neffen Lot und sagt: „Es soll kein Zank sein zwischen mir und dir und zwischen meinen und deinen Hirten; denn wir sind Brüder. Steht dir nicht alles Land offen? Trenne dich doch von mir! Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken.“

Vier Aspekte zu einer friedlichen Lösung will ich kurz benennen:
Das Erste: Abraham, der Starke ergreift die Initiative.
Das Zweite: Er bringt den Konflikt ungeschminkt auf den Punkt.
Das Dritte: Er präsentiert ein Konzept, das ihn persönlich schmerzt: Abstand, Trennung.
Das Vierte und Entscheidende: Er lässt dem Schwächeren den Vorrang. Im Vertrauen auf Gott räumt Abraham Lot die freie Wahl ein:
„Wähle du: Wenn du links, dann ich rechts; wenn du rechts, dann ich links! Ich meine es wirklich so: Wähle in Freiheit!“ Und Lot traut sich, traut dem Frieden, nimmt das Angebot an – das muss man nämlich auch können! – und wählt die damals saftig grüne Landschaft am Jordan, wählt das Bessere, während sich der würdige Onkel auch weiterhin mit den bescheidenen Höhen des steinigen Karstgebirges abgeben muss.
Wir können aus dieser Geschichte lernen:
Frieden hat da eine Chance, wo miteinander auf Augenhöhe geredet wird. Wo alle Seiten Respekt voreinander haben. Wo der Starke großzügig und ehrlich seine Hand zu einem fairen, verlässlichen Abkommen ausstreckt und der andere sich nicht über den Tisch gezogen fühlt. Das wird im Nahen Osten wohl noch ein langer Weg zum Frieden. Irgendwie schimmert die Zweistaatenlösung in dieser Geschichte durch. Beenden von Feindschaft und Feindbildern, Mitfühlen mit dem anderen, einander das Leben gönnen, Trennung und Abstandstandhalten können sinnvolle Mittel sein, um den Frieden zu wahren. Jesu Aufruf zur Feindesliebe lässt uns kreativ werden für den Frieden.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alles menschliche Verstehen, bewahre eure Gedanken und Gefühle in der Gemeinschaft mit Jesus Christus.
Amen