Predigt zum 1. Advent

Jesaja 23, 5-8: Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der Herr ist unsere Gerechtigkeit«. Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der Herr, dass man nicht mehr sagen wird: »So wahr der Herr lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!«, sondern: »So wahr der Herr lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel heraufgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.« Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.

Liebe Gemeinde!

Es gibt etwas zu sehen, wenn es Advent wird. Dekorierte Schaufenster. Adventskranz und Adventskalender. Engel und Lichter. Doch die Freude wird gebremst durch die vierte Welle der Pandemie und was alles mit ihr einhergeht. Der Ernst der Situation, sei es die Pandemie, sei es die Inflation, sei es die Klimakatastrophe - die Unsicherheit vor der Zukunft schlägt vielen aufs Gemüt.

Wo man auch hinkommt, hinschaut und hinhört – überall findet man sich sehr schnell in bedrückende Gespräche verwickelt.

Viele Fragen, aber keine Lösung in Sicht.

Was kann helfen, um einerseits nicht depressiv zu werden und in Pessimismus zu verfallen?

Was kann helfen, um andererseits nicht aggressiv zu werden und Sündenböcke zu jagen?

Wie kann es gelingen, einen guten Weg zu finden und zu gehen?

Eckard von Hirschhausen sagte in einem Interview des Sonntagsblattes: „Die Bewahrung der Schöpfung ist das Thema, das Christen weltweit verbindet! Die Abkehr von einem materialistischen Weltbild braucht eine positive Vision, die attraktiver ist als das, was wir schon kennen. Diese visionäre Kraft im Glauben gilt es wieder freizulegen und spürbar zu machen. Momentan kommen Veränderungsprozesse psychologisch in eine Sackgasse, weil Menschen zuallererst ihren Nachteil, ihren Verlust, ihren „Verzicht“ im Fokus haben. Die Diskussion wird von Katastrophendenken auf der einen Seite und der Angst vor einer „Ökodiktatur“ auf der anderen bestimmt. Wo wir Christen einen echten Dienst tun können: mehr über die Welt zu reden, in der wir leben wollen, eine positive Vision eines gerechten, solidarischen und friedlichen Miteinanders ins Zentrum zu stellen. Und daraus ergeben sich dann Dinge, die weniger ein „Weg von“ als ein „Hin zu“ bedeuten. Und aus dieser Idee leitet sich ein anderer Umgang mit der Schöpfung ab… Wenn die Religionen besser als „der Markt“ wissen, was wir „brauchen“ – gelingt es uns dann nicht mit ihrer Hilfe, auch deutlich weniger zu „ver-brauchen“?“ Soweit Hirschhausen.

Es braucht eine positive Vision, eine positive Sicht und Aussicht. Denn trotz Brillen, trotz Wissenschaft und Wissen, übersehen und übergehen wir, was wichtig und gut und hilfreich ist.

In anderen Zusammenhängen war das auch in biblischen Zeiten so. Menschen sind mit sich beschäftigt und übersehen Gott. Gott und sein Heil lässt sich auch nicht so einfach wahrnehmen und sehen. Darum findet sich in der Bibel fast 1200 Mal dieser Weckruf: „Siehe!“ Es geht dabei immer um eine positive Vision. „Siehe!“ Gewicht bekommt dieser Weckruf dadurch, dass er von Gott kommt oder von einem Boten Gottes.

Schon ganz am Anfang bei der Schöpfung heißt es: Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.

Und als das Volk Israel das gelobte Land erreicht und Josua sich sorgt, was denn nun kommen wird, sagt Gott: Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist.

Der Prophet Sacharja verbreitete Hoffnung für die Menschen, als er ihnen sagte: Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.

Der Engel redet mit Maria, um sie auf die Geburt des Gottessohnes vorzubereiten und zitiert den Propheten: Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns.

Die Hirten hören in der Heiligen Nacht auf dem Feld die Botschaft. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.

Der auferstandene Christus spricht zu den Seinen: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!

Und schließlich tröstet Christus im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung, seine Gemeinde in aller Angst und Sorge: Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.

In all diesen sieben Bibeltexten kommt das Wort „Siehe“ vor.

Dieses Wort ist kein Lückenfüller. Man überhört es vielleicht deswegen gern, weil es so oft vorkommt. Aber es ist ein wichtiges Wort. Weil es unseren Blick weg von uns selbst hin auf Gott lenken will.

Mit diesem Aufruf „Siehe werden wir angehalten, auf Gott zu achten, uns für ihn zu öffnen.

Siehe, dein König kommt zu dir, ein gerechter und ein Helfer, so heißt es bei Sacharja. Auch da geht es darum, mit einer positiven Vision zu leben. Im heutigen Predigttext aus dem Buch des Propheten Jeremia klingt es ähnlich. Das Siehe lässt nach dem Ende des Königtums in Juda Ausschau halten nach einem neuen Gesalbten, einem Messias, nach einem Nachkommen Davids, der für Gerechtigkeit sorgt.

Ein zweites Siehe folgt: Siehe, es wird die Zeit kommen, dass die Verschleppten Juden aus der babylonischen Gefangenschaft zurückkehren und das wird sein wie einst die Befreiung der Israeliten aus Ägypten durch Gott. Dann werden die Juden wieder in ihrem Land wohnen.

Siehe - das lässt also nach vorne schauen, das lässt hoffen, das schenkt Mut.

Ein wehmütiger Blick zurück gibt keine Kraft für das Leben heute und lässt weder Vertrauen noch Hoffnung gedeihen. Darum versinken rückwärtsgewandte Menschen in Jammern und Resignation.

Aus solchem Jammern und schlechtem Denken und Reden will Gott uns herausholen. Mit seinem ‚Siehe‘ lässt Gott uns Dinge sehen, die nicht in unserem gewöhnlichen Sichtkreis sind, Dinge, die wir nicht für möglich halten, an die wir nicht mehr zu hoffen wagen.

Außerhalb dessen, was wir selbst bewerkstelligen können, über das hinaus, was wir uns vorstellen können, sagt Gott: ‚es kommt die Zeit‘.

Es gibt eine Zukunft, die Gott selbst ankündigt und die er selbst gestaltet. ‚Ich will‘ – sagt er und was er will, das tut er auch.

Er wird das schaffen, was wir vermissen und was wir für unmöglich halten: es wird Recht und Gerechtigkeit geben, von denen wir nur träumen können und die es auch in der Vergangenheit nicht gegeben hat.

Unsere evangelische Hilfsorganisation Brot für die Welt lässt sich anspornen durch dieses Siehe. Brot für die Welt tritt für Gerechtigkeit in unserer Welt ein und unterstützt Partner-Organisationen, die sich in ihrem Umfeld für Gerechtigkeit, Menschenrechte und Ernährungssicherung einsetzen.

Liebe Gemeinde!

Es gibt vieles, was uns resignieren lassen will. Doch Advent stellt aller Resignation eine Vision entgegen, die Vision vom Kommen Christi. Wenn uns hier und da das Gefühl beschleichen will, dass das Beste hinter uns liegt, dann sagt die positive Vision dazu: Nein! Das Beste liegt nicht hinter uns, sondern vor uns!

Gegen unsere Erfahrung hören wir das göttliche: ‚Siehe‘ und unser Blick wird nach vorn gerichtet. Gott war nicht nur in der Vergangenheit, in früheren Zeiten bei uns; er ist jetzt da und hat eine gute Zukunft für uns - schon auf dieser Erde und auch einst nach unserem Tod. Advent: Siehe, es kommt die Zeit, es kommt der Herr der Herrlichkeit, es kommt unser Herr und Heiland.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Woche. Lassen Sie sich immer wieder unterbrechen durch ein "Siehe" von Gott,

Ihr Pfarrer Hans Gernert