Von der rechten Sorge um die Zukunft

Bei dieser Predigt nehme ich Gedanken von Prof. Dr. Werner Thiede auf. Er war Theologieprofessor in Erlangen und Referent beim Regionalbischof in Regensburg und ist nun Pfarrer im Ruhestand.
Wenn wir uns Sorgen machen oder von Sorgen sprechen, dann geht es immer um die Zukunft. Als zeitliche Wesen sind Tiere und Menschen stets um das Morgen bekümmert und ums Überleben bemüht.
Das ist etwas ganz Natürliches und gerade auch für uns Menschen als Vernunftwesen etwas durch und durch Existentielles. Wir können gar nicht anders, als uns bewusst oder unterbewusst um die Zukunft Gedanken zu machen und zu sorgen.
Selbst wer reich oder glücklich ist und meint, er hätte ein „sorgloses“ Leben, der bleibt doch der Sterblichkeit und der prinzipiellen Anfälligkeit für irgendwelches Unglück verhaftet.
In Wahrheit ist niemand all seine Sorgen los.
Und wem es wenigstens durchschnittlich recht gut geht, der wird sich immer wieder auch um den einen oder anderen Menschen Sorgen machen, solange sein Gehirn nicht stillsteht: Zukunftssorgen sind aus unserem Leben und Lebenskampf nicht wegzudenken!
Ob gesundheitliche, familiäre, finanzielle, berufliche, organisatorische oder sonstige Sorgen, sie sind einfach da.

Und wenn welche ab und an verschwinden, macht man sich garantiert in einer anderen Hinsicht Sorgen. Ja, man „macht“ sie sich selbst, weil unser Lebensvollzug in seiner Hinfälligkeit und Vergänglichkeit gar nicht anders „tickt“, als dass man so oder so, mehr oder weniger besorgt ist um die Zukunft. Verantwortliche Vor-Sorge gehört auch in diesen Zusammenhang.

Der deutsche Philosoph Martin Heidegger hat über die Lebenssorge ausführlich nachgedacht in seinem Buch „Sein und Zeit“.
Die Sorge ist eine Grundangst des Menschen. Heidegger: „Das Sichängsten ist als Befindlichkeit eine Weise des In-der-Weltsein…“
Es gibt die Vertreter eines positiven Denkens, die meinen, dass man Sorgen einfach abstellen könnte mit Aufrufen wie: „Sorge dich nicht – lebe!“ Das ist zwar schön gemeint, funktioniert aber als Methode nicht. Man kann Zukunftssorgen verdrängen und sich dann darüber suggestiv selbsttäuschen. Sie werden sich auf irgendeine Weise wieder melden.

Letztlich will man bewusst oder unbewusst möglichst lange dem Tod entfliehen. Der Tod selbst aber ist der große Schalter, der die Zukunftssorgen relativiert. Denn entweder ist mit dem Tod für den Einzelnen alles aus, womit sich sämtliche Sorgen, die er sich bis dahin gemacht hat, erledigt haben; sie beschäftigen allenfalls in Teilen die Hinterbliebenen – wiederum bis zu deren Tod. Das wäre dann die „ewige Ruhe“ ohne ein Subjekt, das solche Ruhe genießen könnte.
Oder aber es geht nach dem Tod weiter: Dann stellen dich die Sorgen jedenfalls ganz anders dar.
Die Sorgen des vergangenen Lebens sind jedenfalls von einem Moment auf den anderen irrelevant geworden – beispielsweise das noch nicht abbezahlte Haus, der gerade laufende Scheidungsprozess, die vielleicht problembehaftete Ausbildung der Kinder, der persönliche Kontostand und auch die laufende Politik regional oder weltweit. Die irdische Zukunft gibt es für den verstorbenen Menschen nicht mehr.

Wenn es ein Leben nach dem Tod gibt, ja wenn uns nach dem irdischen Dasein tatsächlich Ewigkeit erwartet, dann ist das schon hier und heute relevant. Denn das ist dann ja die eigentliche Zukunft, auf die wir alle zugehen. Und um die sollten wir uns mehr sorgen als um die „Alterssicherung“ oder die Gesundheit auf Erden.
So meint es auch Jesus von Nazareth in seiner Bergpredigt. Er befiehlt da, Abstand zu nehmen von den üblichen irdischen Sorgen. Aber er sagt keineswegs wie die Vertreter eines positiven Denkens: „Sorge dich nicht – lebe!“. Sondern er gibt eine Alternative an: „Trachtet zuerst nach Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit“, dann wird der Vater im Himmel dafür sorgen, dass ihr alles habt, war ihr zum Leben braucht.
Nach dem Reich Gottes trachten heißt sehr wohl: Sich nach seinen eigenen Möglichkeiten sorgen und darum kümmern, dass die Gottesherrschaft in der Welt, aber auch im eigenen Leben mehr und mehr ankommt und dass die Lebensführung sich ausrichtet auf die Zukunft des universalen Gottesreiches, der Auferstehungswelt.
Unsere Entscheidungen sollten unter dem Blickwinkel der Ewigkeit fallen. Je öfter das geschieht, desto weniger Korrekturen werden uns im Endgericht Gottes auferlegt. (1. Kor. 3, 15)

Im 1. Petrusbrief steht der Satz: „Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch“ (5,7). Dieses Bibelwort bestätigt, dass wir uns nicht mit all unseren Sorgen um uns selbst drehen sollen. Wir sollen uns auf den himmlischen Herrn ausrichten, auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, wie Gott sie uns versprochen hat. In ihnen wird Gerechtigkeit herrschen.
 
Wenn wir uns auf die Fürsorge Gottes verlassen, dann sind damit nicht unsere persönlichen Sorgen durchgestrichen. Sie sind vielmehr anerkannt und gut aufgehoben bei Gott.
Ich bin dann aber nicht mehr ganz auf mich gestellt.
Ich kann ja meine Zukunft gar nicht selbst im Griff haben.
Ich bin auf Gott und auf seine Zukunft mit mir ausgerichtet.
Das gibt meinem Leben eine neue Perspektive, die Paulus so beschreibt: „Ist jemand in Christus, so ist er neu geschaffen; das Alte ist vergangen…“ (2. Kor 5, 17)
Wo das geschieht, da ereignet sich mehr als eine Horizonterweiterung. Da verändert der Horizont des neuen Himmels und der neuen Erde das eigene Leben und seine stete Sorgenbereitschaft.
Da geht es dann ums rechte Sorgen und um die rechte Freiheit, ja da geht es um die rechte Gelassenheit im Leben und im Sterben.

Denn die wahre Zukunft ist es, die uns locken und orientieren sollte:
In ihr liegt der letzte Sinn aller Dinge und allen Lebens verborgen. Gäbe es ihn nicht, wäre alles letztlich ziemlich sinnlos – auch unsere Zukunftssorgen, die dann Sorgen um ein Morgen ohne Zukunft wären.
Vom Glauben her üben wir uns ein in ein anderes Sorgen:
Wir öffnen uns für das Kommen des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit. Auf diese Verheißung leben wir hin.
Denn wir warten auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, wie Gott sie uns versprochen hat. In ihnen wird Gerechtigkeit herrschen. (2. Petr. 3, 13)

Und der Friede Gottes, der all unser Verstehen übersteigt,
bewahre eurer Gedanken und Gefühle
in der Gemeinschaft mit Jesus Christus.