Wir sind ein Gespräch - Predigt am 20.2.2022

Unser Leben ist ohne Sprache nicht zu denken. Unser Leben vollzieht sich als andauerndes Gespräch. Wir hören und lesen nicht nur, was andere von sich geben. Auch in uns selbst ist ein ständiges Gespräch in Gang. Wir wurden nicht nur in diese Welt hineingeboren, wir wurden in unseren ersten Lebensjahren auch in einer Muttersprache heimisch, eben in der Sprache unserer Mutter, die uns nicht nur auf die Welt gebracht, sondern in der Regel auch ins Gespräch gebracht hat – soweit wir bei ihr groß wurden. Seitdem sind wir ein Gespräch. Hölderlin hat einmal gedichtet:
„Viel hat erfahren der Mensch, der Himmlischen viele erkannt, seit ein Gespräch wir sind und hören können voneinander.“

Wir sind ein Gespräch. Unsere Gedanken und Gefühle sind von diesem Gespräch mitbestimmt, das wir mit anderen und mit uns selbst führen, sogar noch nachts in unseren Träumen. Worte bestimmen unser Leben solange wir atmen!

Die Macht der Worte ist uns mehr oder weniger bewusst.

Die Kraft des Wortes ist auch der Bibel bewusst. Das beginnt schon mit dem ersten Kapitel, wo erzählt wird, dass alles durch das göttliche Wort erschaffen wurde. Was für eine große Schau: Gott spricht, um Leben zu schaffen!

Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung zeichnet der Seher Johannes ein Bild vom auferstandenen Christus. Er ist von Gott eingesetzt zum Pantokrator, zum Herrscher über die Welt. Ein zweischneidiges scharfes Schwert geht aus seinem Mund hervor, wo normalerweise die Zunge ihren Platz hat. Scharfzüngig sagen wir, wenn jemand hart urteilt, austeilt und richtet.

Das Schwert ist ein Symbol für das Gericht. Dass Johannes es aus dem Mund Christi hervorgehen sieht, bedeutet, dass Christus durch sein Wort regiert und richtet.

Im Hebräerbrief wird das Wort Gottes mit einem zweischneidigen Schwert verglichen. Ein solch zweischneidiges Schwert war beidseitig geschliffen und bot dem Kämpfer mehr Angriffsmöglichkeiten. Oder wenn die eine Seite des Schwertes stumpf war, konnte er durch die Drehung des Schwertes weiterkämpfen. Das Schwert wurde vor allem deshalb zum Zeichen für das Gericht, weil man mit einem scharfen Schwert Gegenstände teilen kann. Vor Gericht wird im übertragenen Sinn auch etwas zerteilt, nämlich der Sachverhalt einer Straftat. Aus dem Vorgefallen, was der Richter in Einzelteile zer-teilt, um die Wahrheit herauszufinden, fällt er dann sein Ur-teil.

Im Brief an die Hebräer wird mit dem Bild vom zweischneidigen Schwert an die Bedeutung und Wirksamkeit von Gottes Wort erinnert:

Hebr. 4, 12-13:

Denn Gottes Wort ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.“

Liebe Gemeinde!

Ich habe gesagt, dass unser Leben ein Gespräch ist. Zu den Worten, mit denen wir leben und aus denen wir leben, kommt nun noch ein anderes Wort dazu. Gottes Wort. Dieses Wort können wir uns nicht selbst sagen. Es kommt nicht aus uns selbst. Es kommt von außen. Es kommt von Gott. Nun könnten wir vor diesem Gedanken erschrecken, dass Gott uns durch und durch kennt. Er kennt uns besser und genauer als wir uns selbst kennen. Er kennt unsere Gedanken, die Regungen unseres Herzens, oder um es in der Sprache der Psychologie zu sagen: er kennt unser Unbewusstes. Nacktscanner und CD’s mit sensiblen Daten sind gar nichts gegen diesen durchdringenden Blick Gottes. Da kann einem Angst und Bange werden. Doch darum geht es dem Hebräerbrief nicht. Es ist ein Missbrauch, wenn wir mit diesem Gedanken, dass Gott alles sieht, anderen Menschen Angst einjagen. Vielmehr geht es hier um die Wahrheit unseres Lebens. Die Wahrheit unseres Lebens liegt offen vor Gottes Augen. Vor Gott können wir uns nicht verbergen. Ihm und seinem Wort gegenüber müssen wir uns verantworten. Wir sind ein Gespräch. Und es ist für unser Heil entscheidend, ob Gottes Wort einen Platz hat in diesem Gespräch. Darum wird in unserem Predigttext die Bedeutung von Gottes Wort so stark betont und herausgestellt.

Wenn wir von Gott angesprochen werden, dann geht es nicht um eine Information. Wenn Gott zu uns spricht, dann schafft er eine neue Wirklichkeit. So wie er am Anfang die Welt durch sein Wort erschaffen hat.

Wenn Gott spricht, dann schafft er Leben. Darum ist es so wichtig, auf Gottes Wort zu hören. „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, so verstockt eure Herzen nicht!“, ermahnt uns der Hebräerbrief. Wer Gottes Wort nicht hört, wer weghört, wer es überhört, wer sich verschließt und verweigert, der bleibt dem Tod verhaftet. Wie die Israeliten, die sich in der Wüste von Gott abgewandt haben und ungehorsam waren. Sie sind in der Wüste umgekommen, sie haben das Ziel der Ruhe in Gott nicht erreicht. Doch die anderen haben die Wüstenzeit überlebt, weil sie Gottes Wort in sich aufgenommen und von ihm gelebt haben.

Gottes Wort ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert.

Das heißt: Gottes Wort will Leben schaffen und Leben heilen.

Doch das geht manchmal nicht, ohne dass es weh tut. Ein Arzt muss in bestimmten Situationen auch vom Messer Gebrauch machen, um beispielsweise ein Krebsgeschwür zu entfernen. Was das Leben zerstört und kaputt macht, muss fein herausgeschnitten werden. So schneidet Gott genau an der Grenze zwischen gut und böse, zwischen Leben und Tod entlang, um das Böse zu entfernen, damit wir leben.

Haben Sie das Jüngste Gericht schon einmal so gesehen: als lebensrettende Operation?

Unselige Bilder der Vergangenheit nähren immer noch unsere Vorstellung, dass am Jüngsten Gericht mit dem Schwert gerichtet werde nach dem Schema von Hinrichtungen. Man übertrug die eigene Grausamkeit auf Gott und meinte, er richte „die Bösen“ hin und führe „die Guten“ ins Paradies. Welch fürchterliches und unseliges Bild, das die Menschen in Böse und Gute teilt und vor lauter Blutrausch übersieht, wo Gottes Schnitt wirklich verläuft: Nicht zwischen Menschengruppen, sondern durch Seele und Geist, Mark und Bein, Sinne und Gedanken des Herzens eines jeden einzelnen Menschen. Ein Schnitt nicht mit dem Schwert zum Tode, sondern mit dem Skalpell zum Leben.

Gottes Wort ist lebendig. Es will zum Leben führen, nicht zum Tod. Dieses Wort gilt es aufzunehmen in das Gespräch, das wir sind.

Es ist ein Wort das heilt und Leben schafft.

Dann werden wir auch mit unseren Worten nicht mehr so viel verletzen und töten, sondern dem Leben dienen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.